Ariane Lindemann trifft Unternehmer:innen aus dem CyberForum-Netzwerk und spricht mit ihnen über aktuelle Entwicklungen, besondere Erfolge, Innovationen und Zukunftstrends ihrer Unternehmen. Das Format bietet interessante Einblicke in die Aktivitäten und Perspektiven unserer CyberForum-Mitglieder und zeigt, wie sie sich den Herausforderungen der Zukunft stellen und welche Trends sie in ihrer Branche sehen.
Heute im Interview: Oliver Winzenried von der Wibu-Systems AG
In nahezu allen Software-Anwendungen steckt schützenswertes Know-how. Von der Industrieautomatisierung über das Automobil- und Finanzwesen bis hin zur Medizin schützt Wibu-Systems diese Anwendungen vor Cyber-Attacken, Raubkopien und Manipulationen. Das Unternehmen, das einst mit dem WibuKey begann, hat sich mittlerweile zu einem globalen Marktführer entwickelt. Mit Niederlassungen in den USA, China, Japan und Südkorea, einem Jahresumsatz der deutschen AG von über 20 Millionen Euro und 125 Mitarbeitenden ist Wibu Systems ein bedeutender Akteur in der IT-Sicherheitsbranche. Ariane Lindemann hat sich mit Oliver Winzenried, dem Mitgründer und Vorstand von Wibu Systems, bei einem Kaffee getroffen, um über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Unternehmens zu sprechen.
Lässt sich Wibu in einem Satz erklären?
Aber ja! Wir helfen Herstellern, die Chancen der Digitalisierung mit ihren Produkten zu nutzen, indem wir Schutz, Lizenzierung und Sicherheit bieten.
Das bedeutet?
Protection bedeutet Schutz vor Nachbauen. Licensing ermöglicht es Herstellern, Funktionen und Zahlungsweisen für ihre Produkte zu definieren. Und Security schützt vor Manipulationen und Cyberangriffen. Das gewinnt im Zuge des Cyber Resilience Act immer mehr an Bedeutung, weil die Hersteller zunehmend verpflichtet sind, ihre Produkte auch im Betrieb sicher zu machen.
35 Jahre sind eine lange Zeit! Was war der verrückteste Moment in den Anfangszeiten von Wibu Systems?
Verrückt war eigentlich, dass Marcellus Buchheit und ich die Firma gegründet haben, ohne jegliche Praxiserfahrung. Wir kamen direkt von der Uni und hatten eine rein technische Ausbildung. Wir dachten, unser Produkt sei besser als das, was es auf dem Markt schon gab, und dass jeder es würde haben wollen. Dass man Marketing machen und sich um den Verkauf kümmern muss, das war für uns völliges Neuland.
Acceleratoren und Venture Capital waren damals noch nicht in Sichtweite …
Nicht wirklich, zumindest nicht in Deutschland. Das war 1989. Wir haben die Firma sehr sparsam gegründet und immer das, was wir verdient haben, wieder reinvestiert. Da wir direkt vom Studium kamen und keine hohen Verpflichtungen wie Immobilien oder eine Familie hatten, konnten wir mit wenig auskommen.
Gab es einen besonderen Moment oder eine Entscheidung, die Wibu-Systems auf den richtigen Weg gebracht hat?
Unser Ziel war immer, technisch das beste Produkt zu haben. Da wir nicht billiger sein können als unsere Wettbewerber aus Amerika oder Asien, müssen wir besser sein. Innovation ist dabei entscheidend, und das schaffen wir als kleines Unternehmen nur durch Zusammenarbeit mit anderen Firmen, Kunden, Lieferanten sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Internationalisierung. Da wir in einem Nischenmarkt tätig sind, müssen wir unsere Produkte global verkaufen. Heute erzielen wir 15% unseres Umsatzes in Asien, 15% in Amerika, 25% in Europa außerhalb von Deutschland und 45% in Deutschland. Aber auch ein großer Teil des deutschen Umsatzes geht indirekt ins Ausland.
Wie sieht es mit dem Wettbewerb aus?
Es gibt zwei wesentliche Wettbewerber, ein US-Unternehmen und ein französisch-holländischer Anbieter. Wir haben also noch viel Platz zum Wachsen und wir wollen ja auch kräftig wachsen.
Was bedeutet 'Security Made in Germany' für dich persönlich und wie stellt ihr sicher, dass dieser hohe Standard weltweit eingehalten wird?
'Security Made in Germany' ist sehr wichtig, oder zumindest 'Made in Europe', weil wir in Deutschland und Europa eine gewisse Unabhängigkeit von Anbietern in den USA und Asien brauchen. Wir stellen sicher, dass wir alles in Karlsruhe entwickeln. Unsere Auslandsniederlassungen steuern zwar Anforderungen bei, arbeiten aber nicht an der Kernentwicklung mit. Das machen wir komplett hier am Standort. Auch unsere wesentlichen strategischen Partner sitzen in Deutschland.
Eure Legacy-Technologie aus den Anfangsjahren wird immer noch unterstützt und aktualisiert. Hattet ihr jemals Kunden, die sich nicht von den alten Systemen trennen wollten? Wie seid ihr damit umgegangen?
Ja, tatsächlich. Wir haben 1989 mit dem WibuKey angefangen und hatten dann 2003 unseren großen Schritt zu CodeMeter, der Generation, die immer noch aktuell ist. Den WibuKey gibt es heute übrigens immer noch. Wir produzieren rund 100.000 Stück pro Jahr, die von Bestandskunden verwendet werden. Diese Langzeitverfügbarkeit ist besonders für Kunden in der Industrieautomatisierung und Medizintechnik wichtig, da unsere Produkte oft in Maschinen integriert sind und langfristig unterstützt werden müssen.
Ihr baut eure internationale Präsenz sukzessive aus. Deine Zusage für dieses Interview kam per Mail „aus dem Luftwaffenflieger nach Seoul“. In welcher Mission warst du da unterwegs?
Ich war im Juni auf einer Wirtschaftsdelegationsreise mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Südkorea und China. Dort waren 13 Vertreter aus der Industrie dabei. Ich hatte mich stark dafür eingesetzt, teilnehmen zu können, da wir am 20. Juni unsere koreanische Tochtergesellschaft etabliert haben. Das hat natürlich perfekt gepasst.
Geschäftsreise mal anders …
Absolut. Keine Gepäckkontrollen, keine Flughafenhallen. Man fährt direkt zum Flieger und wird vom Rollfeld abgeholt. Das ist schon interessant.
Für dich war die Reise aber vor allem politisch interessant. Warum?
Unser Thema neben der Firmengründung war die Etablierung einheitlicher internationaler Standards im IT-Security-Bereich. Unterschiedliche Standards in jedem Land sind für ein mittelständisches Unternehmen schwer zu handhaben. Grenzüberschreitender Datenaustausch und der Cyber Resilience Act der EU sind wichtige Themen, bei denen die Politik internationale Kompatibilität schaffen muss.
Was erhofft ihr euch wirtschaftlich vom Standort in Südkorea?
Wir haben vorher einige Untersuchungen gemacht und denken, dass der dortige Markt groß genug ist, dass es sich für eine eigene Tochtergesellschaft lohnt. Eine eigene Tochtergesellschaft hat immer ein Minimum an Kosten. Anwalt, Steuerberater, Büro, mindestens 3-4 Mitarbeitende. Südkorea ist ein relativ teures Land, das heißt, man braucht einen gewissen Mindestumsatz, um die Kosten tragen zu können. Ich hoffe, dass uns das gelingt.
Auf der Delegationsreise habt ihr die demilitarisierte Zone an der Grenze zu Nordkorea besucht. Wie hast du das erlebt?
Das war schon sehr beeindruckend und bedrückend. Es durfte nur eine begrenze Personenanzahl dorthin, keine Presse. Für unseren Besuch waren 500 UN-Soldaten zusätzlich im Einsatz. Erstaunlich, wie sie es schaffen, die Bevölkerung so klein und so arm zu halten. Die Strafen für Nordkoreaner sind drakonisch, wenn sie irgendetwas machen, was gegen die nordkoreanischen Vorschriften verstößt. Für ein Vergehen werden immer drei Generationen bestraft. Das nur nebenbei.
Die aktuelle politische Situation ist ohnehin nicht einfach, mit den sich immer stärker ausprägenden Ost-West-Lagern …
Für uns ist freier Handel natürlich wichtig, denn Innovation kann sich nur in Freiheit entfalten. An vielen Stellen kann man auch in Grundlagenforschung zusammenarbeiten, selbst wenn man im Wettbewerb steht. Bis zum Frühjahr 2024 hatten wir – was heute undenkbar wäre – ein deutsch-chinesisches Forschungsprojekt. Heute versucht man solche Kooperationen stark zu reduzieren, was sehr bedauerlich ist.
Die Politik sieht das vermutlich anders …
Ja, die Wirtschaftsvertreter, die dabei waren, haben alle Geschäfte in China. Entweder sie beziehen dort Komponenten oder sie verkaufen dort Lösungen. Auch wir haben sicherlich einige Rohmaterialien aus China bei elektronischen Komponenten, die es fast nirgendwo anders gibt und die man dort kaufen muss. Aber wir verkaufen unsere deutschen Produkte auch in China. Ich denke, diese gegenseitige Abhängigkeit trägt ein Stück weit zur Sicherung des Friedens bei – in beide Richtungen.
Ihr seid jetzt rund 125 Mitarbeitende. Wie war das für dich, von einer Two-Man-Show plötzlich zur Führungskraft eines großen Unternehmens zu werden?
Das war nicht einfach. Man merkt das zuerst gar nicht, denn es ist ein langsamer Prozess. Dann stellt man fest, dass die Methoden, die mit 10 Mitarbeitenden funktioniert haben, mit 20, 60 und 100 Leuten nicht mehr ausreichen. Da mussten wir viel investieren – in die eigene Ausbildung und Weiterbildung zum Thema Führungsqualitäten sowie in die Führungsqualitäten unserer Abteilungs- und Fachbereichsleiter. Diese sind ja nicht als Führungskräfte zu uns gekommen, sondern wurden es bei uns, weil sie entweder am längsten dabei waren oder sich in einem bestimmten Gebiet am besten auskannten. Die Personalverantwortung war nicht unbedingt ihr Steckenpferd, daher müssen wir viel schulen.
Was ist für dich persönlich dein wichtigster Meilenstein?
Ein wichtiger Punkt war sicherlich, als wir nach der Gründung erkannten, dass es wirklich einen Markt für unser Produkt gibt und wir damit etwas Sinnvolles tun. Auch die erfolgreiche Internationalisierung und die Nachhaltigkeit unserer Lösungen sind bedeutende Meilensteine.
Ein aktueller Meilenstein?
2023 wurden wir als TOP Innovator im Top 100-Wettbewerb ausgezeichnet. Außerdem haben wir den German Innovation Award für den AxProtector CTP bekommen.