Die Geschichte und der Untergang eines deutschen Großhandelsunternehmens „Wollschläger“ – Teil 2

Mitglieder 11.08.2022

Was können Großhandelsunternehmen daraus lernen? Wenn Sie Teil 1 noch nicht gelesen haben, dann klicken Sie hier.


Als ob die Übernahme eines ganzen Unternehmens (der Essener Arbeitsschutz GmbH im Jahr 2007) nicht schon ein komplexes Projekt wäre, folgte 2009 die Einführung von SAP (ERP, EWM, PI und BI).Im selben Jahr wechselte Haberstock von Hamburg in die Zentrale nach Bochum, um im Controlling und im Geschäftsbereich E-Procurement unter dem Namen fuxx4trade zu arbeiten.

Die Wollschläger-Gruppe verfügte nun über 12 Niederlassungen in ganz Deutschland und beschäftigte über 600 Mitarbeiter, darunter 130 Vertriebsaußendienstler.

Im Jahr 2010, nach Beendigung der Partnerschaft mit der Adolf Pfeiffer GmbH & Co. KG, eröffnete Wollschläger eine weitere Niederlassung in Mannheim. Am 1. Juni desselben Jahres ernannte die Wollschläger Gruppe Frank Haberstock als Prokurist und berief ihn in die Geschäftsführung. In dieser neuen Funktion war er für den nationalen Vertrieb zuständig. Als eines der erfahrensten, loyalsten und wertvollsten Verkaufstalente verfügte Haberstock nun über eine der größten Vertriebskräfte, die zu dieser Zeit im Distributionsbereich eingesetzt wurden.

Der Umsatz der Wollschläger GmbH & Co. KG hatte sich von 2000 bis 2010 mehr als verdoppelt. Die Dinge liefen gut für Frank W.

Die weltweite Finanzkrise von 2009 schien zu diesem Zeitpunkt vorbei zu sein, zumindest in Deutschland. Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,7 % im Vergleich zum Vorjahr wurde das Land relativ hart von der Krise getroffen. Dieser Rückgang war stärker als der in Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder den Vereinigten Staaten.

Das Wachstum des E-Commerce im deutschen B2C-Sektor erreichte nach 2010 eine Sättigung, denn in diesem Jahr wurde das letzte Rekordwachstum von fast 30 % verzeichnet. Seitdem hat sich das Wachstum im B2B-E-Commerce ebenfalls weiter verlangsamt. Steht der B2B-Handel vor einem Wendepunkt?

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Die Strategie lässt sich nur schwer ändern, das Aussehen dagegen schon. Im Jahr 2012 kündigte Wollschläger einen neuen Plan an, der auch ein neues, hellgrünes Corporate Design beinhaltet. Das Unternehmen feierte sein 75-jähriges Bestehen.

Frank Wollschläger hielt das Tempo hoch und nahm ehrgeizige Zukunftsprojekte in Angriff, national und international. Im Jahr 2012 eröffnete die neue Wollschläger Österreich-Niederlassung in Breitenbach am Inn. Im selben Jahr kündigte Frank Wollschläger ein neues Projekt an: eine neue Firmenzentrale in Bochum.

„Geschichte wird am Ende zu einer Form von Ironie“, schrieb der Pulitzer-Preisträger Arthur Schlesinger. Ich komme nicht umhin, die Ironie der Geschichte von Wollschläger zu erkennen, wenn ich lese, dass sie 2012 das - damals geschlossene - Nokia-Werk in Bochum gekauft haben. Das Werk des Telekommunikationskonzerns im nördlichen Stadtteil Riemke war bis 2008 einer der weltweit 15 Produktionsstandorte von Nokia in neun Ländern. Seine Ursprünge gehen auf das Jahr 1956 zurück. Einst arbeiteten dort mehr als 4.500 Menschen.

Wollschläger hat das 120.000 Quadratmeter große Areal gekauft und wird es für Logistik und Verwaltung nutzen. Kein Geringerer als das Berliner Architekturbüro Designyougo, heute OOW, gegründet von Schülern der Architekturikone Norman Foster, war für die Gestaltung des neuen Gebäudes verantwortlich.

Der Plan von Frank Wollschläger sah vor, eine Produktionsstätte für medizinische Werkzeuge, darunter auch Geräte für die Implantat Technik, zu errichten und Hunderte von neuen Arbeitsplätzen zu schaffen. „Ein Gebäude als Visitenkarte - extravagant und kühn“ - ist auf der Projektseite des Architekten noch zu lesen. Frank hat sein extravagantes und gewagtes Gebäude nie fertig gestellt.

Im Jahr 2013 verdreifachte die Wollschläger-Gruppe ihre Lagerfläche auf rund 30.000 Quadratmeter, ein Viertel der ursprünglich geplanten Kapazität. Außerdem zog sie an ihrem neuen Standort in ein größeres Gebäude mit einem hochmodernen Logistik- und Lagerzentrum um.

In der Zwischenzeit wurden intern Stimmen laut, die sich über die Überschuldung, Koordinationsprobleme und Business Excellence im Unternehmen beklagten. Der Umzug des Hauptsitzes verlief nicht wie geplant und verzögerte sich um fast ein weiteres Jahr. Schließlich schafften es 94 Logistikmitarbeiter in der Weihnachtszeit 2014 und bis Januar 2015. In zwölf Tagen transportierten sie in 400 LKW-Ladungen 800 Tonnen mit 50.000 Artikeln.

Die beträchtliche Investition brachte Platz für 10.000 Paletten. Viele Arbeiter waren erschöpft.

Ein ehemaliger Manager schrieb mir: „Rückblickend hat das Unternehmen einfach zu sehr auf permanentes Wachstum durch Übernahmen gesetzt. Es hätte eine Atempause einlegen müssen.“

Etwa zur gleichen Zeit gründete ich Qymatix mit dem Ziel, B2B-Verkäufer im Vertrieb, in der Produktion und im Dienstleistungssektor mit Hilfe von Predictive Analytics erfolgreicher zu machen. Wollschläger schien ein offensichtlicher Kandidat für unsere neue Technologie zu sein.

Ich hatte angefangen. Frank Wollschläger hatte nicht vor, aufzuhören. Das neue Lager kostete mindestens 15 Millionen Euro, beschäftigte 100 Mitarbeiter und lieferte mehr als 3.000 Pakete pro Tag aus. Mehr als 700.000 Artikel waren im ERP-System verfügbar, davon rund 85.000 auf Lager. Der neue Katalog - die Nummer 13 - umfasste 30.000 Artikel auf 1.400 Seiten. Welches Verkaufsteam kann diese riesige Anzahl von Produkten erfolgreich verkaufen?

Wie die Entwicklung der Wollschläger Gruppe weitergeht und welche entscheidenden Geschäftsentscheidungen Frank W. als nächstes trifft, erfahren Sie in Teil 3 der Wollschläger-Serie (erscheint am 16.08.22).

ICH MÖCHTE PREDICTIVE ANALYTICS FÜR DEN B2B-VERTRIEB

Literaturnachweis:

Simone Podieh: Alles für den Kunden

Alexandra Rüsche: Siegfried Hakelberg neuer Vertriebsleiter bei Mercateo

Martin Wocher: Das Ende einer Bochumer Traditionsfirma

Dirk Andres: In welchen Branchen die nächsten Pleiten drohen

Thomas Schmitt: Dänisches Handelshaus übernimmt Wollschläger in Bochum

WollschlaegerGroup: Erfolgsgeschichte Wollschläger

Andrea Schröder: Wollschläger: Investor zieht Kaufangebot zurück - 420 Mitarbeitern wird gekündigt

Industry Arena: Neue Metav hat überzeugt


Derwesten: Wollschläger-Gruppe aus Bochum hat Insolvenz angemeldet